Freie Wähler im Balinger Gemeinderat
Verabschiedung des Haushalts 2020
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reitemann,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Schäfer,
sehr geehrte Damen und Herren der Verwaltung,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats,
liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Rängen,
I had a dream.
“Mai 2023 – Eröffnung der kleinen Landesgartenschau in Balingen: Unser liebenswertes Städtchen hat sich herausgeputzt. Alles ist schmuck hergerichtet, blüht und glänzt im Sonnenschein. Die Besucher strömen. Viele kommen mit der Bahn, noch mehr aber finden rings um die Innenstadt fußläufig gelegene Parkplätze oder werden mit autonom fahrenden Kleinbussen zu den Eingängen gebracht.
Die Balinger aus allen Ortsteilen sind stolz auf das, was sie in so kurzer Zeit geleistet haben. Viele arbeiten ehrenamtlich mit, pflegen einen Teil der Anlagen oder kümmern sich freundlich und aufgeschlossen um die Besucher. Nichts ist mehr zu spüren vom Stress der letzten Jahre, von oft schwierigen Abwägungen und zähen Verhandlungen über Details. Alle Großbaustellen sind rechtzeitig fertig geworden, nicht nur die Anlagen und Wege entlang der Eyach und Steinach, sondern auch der prägende Neubau an der Ecke Schwanenstraße, ebenso wie der neugestaltete Bahnhofsvorplatz, der gegenüberliegende Neubau an der Stelle des alten Württemberger Hofs, die Allee in der Karlstraße, der neue Mühltorplatz, das Jugendhaus und das neue Archiv bis hin zum neuen Mühlengeist. Die ersten Kreisverkehre am östlichen Ring haben ihre erste Bewährungsprobe erfolgreich hinter sich und werten zudem mit ihrem Grün das Stadtbild auf. Viele Häuser, nicht nur in der Kernstadt, wirken gepflegt und haben eine sichtbare Auffrischung erfahren.
Balingen blüht, Balingen lebt, ganz Balingen feiert mit seinen Gästen das Jahrhundertprojekt und präsentiert sich mit all seinen Gunstfaktoren, seiner Geschichte, seinem vielfältigen kulturellen Leben und der wunderbaren Natur am Fuß der Schwäbischen Alb den Besuchern aus nah und fern.“
Wie gesagt: I had a dream. Damit aber Träume, Visionen Wirklichkeit werden, bedarf es einer unermüdlichen zielstrebigen Vorarbeit. Wir sind dran – aber es ist noch ein weiter Weg. Zum Ausruhen bleibt keine Zeit mehr. Alle müssen mitziehen.
Der größte Teil unserer Kraft und unserer disponiblen Finanzmittel muss in den nächsten 3 Jahren auf dieses Ziel hin gebündelt werden, auch wenn uns bewusst ist, dass immer wieder zwingende Alltagsherausforderungen zusätzlich bewältigt werden müssen, sei es die Sanierung, Erweiterung oder der Neubau einer Kindertagesstätte wie in der Stadtmitte oder in Endingen, unumgängliche und kostenintensive Sanierungen und Modernisierungen an allen Schulen, fortgesetzte Straßen- und Kanalsanierungen, Erschließung weiterer Baugebiete in allen Teilen der Stadt. Fortlaufende Investitionen in die Feuerwehr sind aufgrund der technischen Fortschritte ebenso notwendig wie die laufende Unterstützung unserer vielen Vereine, in denen tagtäglich hervorragende Arbeit geleistet wird, ohne die unsere Gesellschaft um vieles ärmer wäre.
Mit unseren Stadtwerken haben wir einen leistungsstarken Partner als zuverlässigen Grundversorger für unsere Bürger und unser Gewerbe, der ebenfalls energisch und vorausschauend neue Herausforderungen anpackt, die sich aus dem einschneidenden Wandel des gesamten Energiesektors ergeben. Parallel dazu wird der Aufbau der Zollern-Alb-Data vorangetrieben, um die digitale Versorgung für Balingen und die Region zu gewährleisten und zügig zu verbessern. Bis 2023 sind über alle Bereiche hinweg Investitionen von über 20 Mio € geplant, allein 2020 rund 8 Mio €, darunter neue Blockheizkraftwerke, ein neuer Direktanschluss zwischen Balingen und Geislingen an das überregionale Gasnetz und weitere innerörtliche Netzverdichtungen im Gas- und Datennetz. Mit dem neuen Innenstadtbüro soll der Kontakt zu alten und neuen Kunden intensiviert, erleichtert und persönlicher werden. Angesichts dieser enormen Investitionen und der damit verbundenen Kreditaufnahmen müssen wir die Entwicklung der Eigenkapitalquote sorgsam im Auge behalten. Für die klaren Zielvorstellungen und die gute Arbeit sagen wir der Führung und allen Mitarbeitern unserer Stadtwerke aufrichtigen Dank. Wir wissen es sehr zu schätzen.
Mit dem Abriss des Sparkassenparkhauses hat sich die Parksituation in der Innenstadt gravierend verschärft. Derzeit finden tagsüber nicht einmal mehr ältere Besucher des Eyachbads einen geeigneten Parkplatz. Rund um die Stadthalle ist fast alles von Dauerparkern belegt. Hier müssen wir schleunigst nach Lösungen suchen. Gut, dass das Strassergelände bis kurz vor der Gartenschau noch als provisorischer Parkplatz zur Verfügung steht. Damit bleibt auch Zeit für eine gründliche Abwägung, was nach der Gartenschau mit dem Areal geschehen soll.
Die Umwidmung von Dauerparkflächen zu zeitlich begrenzten Parkflächen beim Friedhof hat sich bewährt, manche Probleme aber natürlich auch nur verlagert. Eine Gesamtbetrachtung der Parksituation in Balingen ist nicht nur im Hinblick auf die Zeit der Gartenschau notwendig, wir brauchen auch möglichst bald dauerhafte Verbesserungen. Denn ob die in Arbeit befindliche Neuregelung des ÖPNV mit engerer Taktung und optimierten Anschlüssen zu einer deutlich verbesserten Akzeptanz und häufigerem Verzicht auf den eigenen PKW führen wird, steht noch in den Sternen. Vielleicht gibt es mehr Klarheit, wenn in den nächsten Wochen die Vorschläge mit uns und mit interessierten Bürgern diskutiert werden.
Ebenfalls in den nächsten Wochen soll der überarbeitete Bebauungsplan Urtelen wieder dem Gemeinderat vorgelegt werden. Wir hoffen sehr, dass hier das alte Sprichwort greift „Was lange währt, wird endlich gut“.
Die Nullzinsentwicklung im letzten Jahrzehnt sowie der steigende Bedarf an Wohnungen aufgrund des anhaltenden Zuzugs haben auch in Balingen und seinen Teilorten zu einer deutlichen Immobilienblase geführt. Damit einher geht auch bei uns eine unverhältnismäßige Preissteigerung für Miete oder Kauf von Wohnraum in Neu- und Altbauten. Nicht die Handwerker sind der Auslöser dieser Blase und der Kostenmehrung. Sie stehen vor einer kaum zu bewältigenden Auftragsflut und müssen quasi als Vorleistung mit viel Mut zum Risiko in Betriebserweiterungen mit neuen Mitarbeitern, neuen Maschinen samt Fuhrpark etc. investieren, bevor die mögliche Rendite folgt.
Der Bebauungsplan Urtelen sollte in mancherlei Hinsicht Maßstäbe setzten: Für Nachverdichtung ebenso wie für innovative Stadtentwicklung und bezahlbaren, kostengünstigen Wohnungsbau. Dazu braucht es neue Leitlinien für unsere Baupartner, neue messbare Kriterien in den Bauleitplanungen und Bebauungsplänen, die bezahlbaren Wohnraum und ökologisch notwendige Verpflichtungen mit guter und für die Menschen gemachter Architektur und Städtebau verbinden. Der Mensch mit seinen Bedürfnissen sollte im Vordergrund stehen und nicht das Geld oder das Auto. Es reicht nicht aus, nur Minimalgrundlagen in Bebauungsplänen zu definieren. Wir brauchen eine neue Gewichtung der Aspekte Mensch, Umwelt, Sozialfaktoren und kostengünstiges Bauen, sowohl für Investoren und Bauträger als auch für die Menschen, die Wohnraum benötigen. Dies müssen wir als Gemeinderat einfordern als die Verantwortlichen für unsere Stadtentwicklung. Dazu braucht es viel Kommunikation zwischen allen Beteiligten und Innovationsbereitschaft. Aber wir sind uns sicher, dass es gelingen kann, die Interessen von Bauwilligen, Bauträgern und Investoren mit kostengünstigen Bauweisen sowie mit Ökologie und Nachhaltigkeit zu vereinbaren und Quartiere zu schaffen, in denen man gerne lebt.
Für die künftige Stadtentwicklung wohl das wichtigste Kriterium ist der vorausschauende Erwerb potenzieller, strategisch wichtiger Gestaltungsflächen, um diese einer entsprechenden späteren Nutzung zuzuführen. In jüngster Zeit gab es hier manche Versäumnisse, deren Folgen wir schmerzhaft gespürt haben. Gibt es Länder- oder Bundesmittel, die man hier nutzen kann, um auch künftig Flächen zum Wohnen für „Jedermann“, nicht nur für finanziell Bessergestellte, zu realisieren? Flächen mit einer guten Durchmischung, ohne Ghettoisierung. Nur so kann eine Spaltung der Gesellschaft vermieden werden, ein gesellschaftlicher Zusammenhalt geschaffen und damit ein Erfolgsrezept für uns alle geschaffen werden.
Ein vorausschauender Aufkauf steht nicht im Widerspruch dazu, dass wir uns andererseits auch immer mal wieder von unnötigen oder stark sanierungsbedürftigen Objekten trennen sollten um Kosten einzusparen, damit wir handlungsfähig bleiben.
Trotz mancher zusätzlichen Personalstelle arbeiten viele Bereiche unserer Verwaltung am Anschlag, kommen kaum nach. Angesichts der Altersstruktur und der Hochkonjunktur auf dem Arbeitsmarkt wird sich dieses Problem in den nächsten Jahren eher noch verschärfen. Hat sich die Verwaltungsspitze schon Gedanken über ein Nachwuchsprogramm gemacht: Wie Nachwuchskräfte gewonnen, aufgebaut und gefördert werden können? Damit das stetig zunehmende und komplizierter werdende Aufgabenvolumen weiterhin bewältigt werden kann.
Abschließend noch in Kurzform ein paar weitere Aspekte:
Wir hoffen auf eine baldige unbürokratische Aufhebung der überstürzt eingeführten Umweltzone, auch wenn es das erste Mal wäre, dass so etwas rückgängig gemacht wird.
Wir warten auf die Überarbeitung des Friedhofkonzepts für unseren zentralen Stadtfriedhof, da immer größere Flächen frei werden.
Wir warten immer noch auf die Vorstellung der Medienkonzepte unserer Schulen oder beispielhaft einer größeren Schule.
Wir freuen uns auf die Kunstausstellung ebenso wie auf die Fortsetzung der Ausstellung der „World Press Fotos des Jahres“. Danke in diesem Zusammenhang an die VHS unter der Leitung von Ottmar Erath für ihr umfassendes, innovatives Engagement nicht nur in diesem Bereich.
Wir freuen uns ebenso, dass es der Verwaltung gelungen ist, einen hohen Bundeszuschuss für die seit langem auf der Agenda stehende Sanierung der Sportanlagen auf dem Längenfeld zu bekommen. Die Umsetzung beginnt demnächst und wird dann als Nebeneffekt auch der Jugendarbeit in den Fußballvereinen Balingen und Heselwangen neue Kapazitäten und Impulse bringen.
Und nicht zuletzt werden wir die Kostendeckungsgrade der städtischen Einrichtungen kontinuierlich im Auge behalten und gegebenenfalls Gebührenanpassungen vornehmen müssen.
Wie immer ist die Haushaltsrede auch Anlass, allen ehrenamtlich tätigen Menschen in unserer Stadt für ihren stetigen Einsatz verbunden mit oft hohem Zeitaufwand zu danken. Ihre Leistung für das Gemeinwohl wird meist unterschätzt.
Dieser Dank gilt ebenso allen, die mit ihrer Tatkraft, ihrem Mut und ihren Ideen dafür sorgen, dass immer mehr Menschen in Balingen einen sicheren Arbeitsplatz und damit ein gutes Ein- und Auskommen haben.
Ein besonderer Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung und der Stadtwerke, deren Aufgabenvielfalt sich in diesem Haushaltsplan nur ansatzweise widerspiegelt.
Unser letzter, aber ganz besonderer Dank gilt Ihnen, Herr Eberle, für die umfassende Aufbereitung des komplizierten Zahlenwerks, für die vielen zusätzlichen kurzfristigen Erläuterungen und für die nicht selbstverständliche Bereitschaft, sich intensiv mit unseren manchmal sicher auch laienhaften Anregungen auseinander zu setzen, damit der Haushaltsplan von Mal zu Mal leichter verständlich wird.
Namens der Fraktion der Freien Wähler erkläre ich, dass wir der Verabschiedung des Haushalts 2020 und dem Erlass der Haushaltssatzung zustimmen werden, ebenso dem Wirtschaftsplan der Stadtwerke und des Eigenbetriebs Gartenschau.
Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
Werner Jessen für die Fraktion der Freien Wähler
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